Tag 5
Champagnole – Saint Claude
88 km 935 hm


Die Nacht über regnet es immer mal wieder leicht – was mich am Morgen angesichts der recht trüben Dunkelheit im Zelt zu der Annahme verleitet, es kündige sich ein eher trister Tag an. Deshalb drehe ich mich noch einmal in meinen Schlafsack und döse weiter vor mich hin. Doch als ich mich dann doch endlich zum Aufstehen durchringe und die Zeltplane aufreiße, entdecke ich einen überwiegend blauen Himmel. Ich habe vergessen, dass ich mein Zelt gestern unter einigen schattenspendenden Bäumen aufgestellt hatte, die natürlich am Morgen zwangsläufig auch viel Licht nehmen. Nach dem Zeltabbau schwinge ich mich mit viel Elan auf den Sattel, auch wenn es jetzt zu dieser frühen Tageszeit schon zunehmend schwülwarm ist.



Nach einigen flachen Einrollkilometern zwingt mich eine Straßensperre zu einer größeren Umleitung, was meinem Navigationsgerät überhaupt nicht passt. Ständig versucht er mittels hektischem Piepsen auf sich aufmerksam zu machen und bietet mir immer wieder neue phantasievolle Streckenvorschläge an. Die werden aber von mir allesamt rigoros verworfen, da sie höchstwahrscheinlich nur direkt auf das gesperrte Teilstück führen. Erst als ich wieder auf der ursprünglich eingegebenen Strecke bin, beruhigt sich mein kleiner elektronischer Begleiter und weist mir ruhig und diskret die richtigen Richtungen an. Der Umweg führt mich auf die Hochebene von Champagnole nach Mont-sur-Monnet, einem Ort, der nichts Besonderes bietet außer der Tatsache, dass er ca. 120 Meter über den umliegenden Orten liegt.



Für mich bedeutet das mal wieder einen glücklicherweise moderaten Anstieg mit anschließender Abfahrt. Ich kreuze den Lac de Chalain, dessen Ausmaße ich aber angesichts der ungünstigen Straßenführung nicht überblicken kann. Dann ist mal wieder klettern angesagt, zunächst durch Wiesen und auf kleinen Straßen, dann ein kurzes Stück auf der in der Michelin Karte rot eingezeichneten D 678, die sich aber glücklicherweise als halb so schlimm, was Verkehr und Steigung angeht, herausstellt. Oben in La Chaux-du-Dombief angekommen, vermisse ich inzwischen schmerzlich mein erstes Passschild. Wahrscheinlich sind diese von mir so geschätzten Infoschilder für den automobilen Reisenden inzwischen nur noch ein störendes Teil im abstrusen Schilderwald, dass der französische Staat glaubt, darauf besser verzichten zu können. Und an mich denken Sarkozy und Konsorten mal wieder überhaupt nicht....



Mein Navi weist mich am Ortsausgang von La Chaux-du-Dombief auf eine unbeschilderte kleine Dorfstrasse. Ich halte das zunächst für einen Scherz, denn das Gerät neigt schon mal dazu, kleine und kurze innerörtliche Abkürzungen vorzuschlagen, die in der Praxis aber meist unsinnig sind aufgrund des beschissenen Strassenbelags, der enormen Steigung oder auch nur weil beim Abbiegen von und wieder auf die Hauptstraße erhöhte Vorsicht erforderlich ist. Aber eine genauere Recherche ergibt, dass ich zu Hause genau diese Straße als beste Verbindung gewählt habe. Damit ist auch mein Verdacht, das Gerät wollte sich für meine Ignoranz heute morgen rächen, erst einmal ausgeräumt. Ich biege also ab und nach einigen (verstörenden) hundert Metern durch eine Vorortsiedlung komme ich zu einem Hinweisschild für eine Route forestière. Diese dient im Winter als Langlaufloipe und jetzt als erholsamer menschenleerer Weg für Radreisende wie mich.





Auf den folgenden sieben Kilometern begegne ich niemandem außer einem Forstarbeiter, der vor einer Hütte gerade ausgiebig Mittag macht. Ansonsten höre ich nur das zwitschern der Vögel und das leise Keuchen meines Atems, denn der Weg geht in einem ständigen Auf und Ab immer weiter nach oben bis auf etwas über 1000 Meter. Bis auf einige Ecken ist die Straße sehr gut befahrbar – erst auf den letzten zwei Kilometern wird der Asphalt dann immer schlechter und viele Löcher und Schotterpassagen trüben ein wenig den bis dahin riesigen Fahrspaß. Ich biege auf die etwas breitere D 28 und jage einem Rennradfahrer hinterher, der plötzlich vor mir auftaucht. Doch die Straße eignet sich nicht unbedingt zum hemmungslosen Rasen und die Erinnerung an den gestrigen Tag zwingen mich, den Rennradler ziehen zu lassen und den vielen Bodenwellen elegant auszuweichen.



Nach einigen flachen Kilometern mache ich noch einmal ausgiebig Pause – es sind noch etwas mehr als 20 Kilometer zu fahren und ich befürchte noch einige kräftezehrende Höhenmeter. Aber Pustekuchen – noch ein paar flache Kilometer und dann geht es endlos bergab.







Ohne auch nur einmal noch in die Pedalen zu treten, rolle ich den stetig abfallende Straße hinab bis nach Saint-Claude.



Dort weist mich mein GPS-Gerät problemlos und schnell bis kurz vor den örtlichen Campingplatz – und rächt sich dann doch noch für mein Verhalten von heute Vormittag. Zuerst meldet er das drohende Ende der Batterieleistung, um sich kurz danach (und kurz vor Erreichen des Platzes) endgültig zu verabschieden. Doch den fehlenden Kilometer bis zum Platzeingang finde ich auch ohne GPS und nach Zeltaufbau und Dusche lade ich zur Abwechslung mal nicht nur meine Batterien auf. Währenddessen unterhalte ich mich kurz mit einem australischen Reiseradler, der ebenfalls auf dem Campingplatz gestrandet ist. Aber der drohende Regen am Himmel zwingt uns zu letzten Vorsichtsmaßnahmen und so bleibt es zunächst beim Austausch von allgemeinen Höflichkeiten. Ansonsten ist der Platz mit zahlreichen Wohnwagen diverser Schausteller belegt, die im Stadtkern von Saint-Claude auf der örtlichen Kirmes mit Buden vertreten sind. Die Wohnwagen sind teilweise recht imposant, die Krönung stellt aber ein kleiner Anhänger dar, der noch hinter den Wohnwagen gespannt wird und u.a. zwei Waschmaschinen beinhaltet.

Zum Einkaufen muss ich zurück nach Saint-Claude und habe zunächst Schwierigkeiten, den winzigen Supermarkt im Ortszentrum zu finden. Die alten Männer in einer Bar schauen mit jedem Male verduzter, wenn ich wieder einmal an ihnen vorbeizische. Dann nach der vierten Runde durch den Ortskern finde ich endlich den Casino-Markt und die Alten können sich in ihrer Bar wieder anderen Dingen widmen. Am späteren Abend komme ich doch noch mit dem Australier ins Gespräch, als wir gemeinsam eine Flasche Wein leeren. Gegen 10 Uhr setzt dann aber „endlich“ der lang erwartete Regen ein und wir beenden unsere zwanglose Plauderei abrupt und fliehen in unsere Zelte.


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