Tag 8
Entre-deux-Guiers - Pont-en-Royans
105 km 1272 hm


Der Regen blieb gestern aus und so verlebte ich einen ereignislosen Abend und eine ruhige Nacht. Ich bin relativ früh auf den Beinen und registriere die massiven Wolkenformationen am Himmel (same procedure...) nur noch und verschwende keine Gedanken mehr über eventuelle Regenschauer oder Gewitterfronten. Gegen neun Uhr bin ich auf dem Rad und die ersten sieben Kilometer bis Saint-Laurent-du-Pont sind, da recht flach, schnell Vergangenheit.



Dann geht es mal wieder in eine dieser Schluchten, die für mich zu den Höhepunkten einer jeden Frankreichfahrt gehören. Heute heißt die Schlucht „Gorges du Guiers Mort“ und führt mich über mehrere Kilometer hinauf. Vom ersten Kilometer an bin ich total hingerissen von dieser Landschaft und der Strasse, auch wenn die tiefen Wolken den Blick nach oben oft verhindern.





Ich fahre an kleinen älteren langgegezogenen Fabrikgebäuden vorbei, die zwar noch in Betrieb sind, teilweise aber aussehen, als hätten sie nur noch musealen Charakter. Parallel zur Straße verläuft eine kleine Güterbahnlinie – und die Schienenstrecke ist mit so niedrigen Tunneln versehen, dass ich mich frage, was und wie hier transportiert wird. Dann nimmt die Bebauung ab und ich fahre durch eine wirklich schöne Schlucht.









Es geht konstant und recht steil nach oben und ich muss mich schon gehörig anstrengen, um die steileren Abschnitte schwungvoll zu meistern. Das ist auch wieder nötig, denn auch heute gilt es wieder, das Ansehen der Reiseradlerzunft beim gewöhnlichen französischen Rennradler zu steigern. Also heißt es wieder einen Tritt an den Tag gelegt, der Respekt vor der Steigung anzeigt, aber auch deutlich macht, dass man auch schon weitaus schwierigere Anstiege gefahren ist.







Bis La Diat, kurz vor Saint-Pierre-de-Chartreuse funktioniert das vorzüglich – ich bin zwar schon etwas erschöpft, aber bis hierhin hat das Fahren einen großen Spass bereitet.





Doch noch ist die Kletterei nicht vorbei, denn mich erwarten noch einige Höhenmeter, die bezwungen werden wollen. Und nach ein paar Kilometern wird es wieder zunehmend steiler – die Teilstücke, die 8% und mehr ansteigen werden häufiger und länger. Dagegen lässt das zwischenzeitlich von mir erwartete Unwetter weiter auf sich warten, stattdessen bricht sogar für gewisse Zeit die Sonne durch. Der Anstieg nimmt kein Ende. Ich pfeife inzwischen auf dem letzten Loch – doch dann sehe ich das Ortseingangsschild des kleinen Gipfelortes Col de Porte.



Es ist ziemlich frisch hier oben und ich habe mein Trikot samt Weste ordentlich durchgeschwitzt. Also steht ein Klamottenwechsel an und nach kurzer Verschnaufpause geht es hinab in Richtung Grenoble. Und jetzt bin ich es, der grinsend in die verzerrten Gesichter der Rennradler blickt und lässig grüßt, während die mir entgegenkommenden Herren alle Luft zum Atmen brauchen und nur noch ein krächzendes „..jour“ herausbringen.



Man merkt, dass heute Sonntag und der Col de Porte einer der Hausberge der Grenobler Rennradlerszene ist, denn ich begegne heute (in beiden Richtungen) Massen von Rennradfahrern aller Alters- und Gewichtsklassen. Doch mir fehlt die Zeit, darüber zu sinnieren, wie beliebt „mein“ Sport trotz aller Dopinggeschichten immer noch ist und das ich bei weitem nicht der einzige Doofie bin, der Spaß dabei empfindet, sich einen 1300 Meter hohen Berg hinaufzuquälen. Zu Beginn meiner Radlerkarriere empfand ich die Plackerei allenfalls als notwendiges Übel, um die Freuden einer rasanten und langen Abfahrt genießen zu können. Inzwischen könnte ich (notfalls) auch auf die Abfahrt verzichten – nicht aber auf dieses unbeschreibliche Gefühl, endlich oben anzukommen.



Aber wie bereits geschrieben, habe ich für solche Überlegungen eigentlich gar keine Zeit, denn die Abfahrt ist schwierig und erfordert meine volle Konzentration. Viele Kurven, lange Geraden und tückische Bodenwellen bringen ständige Tempowechsel und meine Bremsen müssen Schwerstarbeit leisten. Dies umso mehr, als ich kurz vor Le-Sappey-de-Chartreuse die Hauptstrasse verlasse und auf die kleine D57 wechsle. Zwar ist der Straßenbelag hier etwas schlechter als vorher, auf der Habenseite steht aber ein wahres Kurveninferno, dass mich fast schwindelig macht.



Ich überquere eine kleine Brücke und bekomme einen ziemlichen Schrecken. Statt weiter bergab direkt in die Vororte von Grenoble führt mich das kleine Sträßchen wieder hinauf und das nicht zu knapp. Doch mich kann inzwischen fast nichts mehr schocken und schicksalsergeben mache ich mich daran, die Zwischensteigung zu überwinden. Nach ca. 80 Höhenmeter geht es aber wieder bergab und schließlich erreiche ich Grenoble. Ich ignoriere die Richtungsanweisungen meines Navigationsgerätes, denn ich weiß, dass es hier irgendwo eine Piste cyclabile geben muss, die direkt an der Isere liegen muss. Doch meine „nicht GPS-unterstützte“ Fahrt endet an einer Autobahnauffahrt und ich sehe vor mir zwei Radfahrer auf wüsten Offroad-Abwegen. Also irre ich noch etwas ziellos in einem Industriegebiet umher und kehre dann reumütig zum Streckenvorschlag meines elektronischen Freundes zurück (auf dessen Display ich in diesem Moment kurz einen kleinen Smiley zu sehen glaube).

Die Straße ist furchtbar öde und schnurgerade und ein ständiger, fast schon stürmischer Gegenwind lässt Schlimmes erahnen. Außerdem ist der Himmel mal wieder ziemlich schwarz und meine Laune fällt zum ersten Mal unterhalb der Erholsamkeitsgrenze. An der nächsten Brücke über der Isere versuche ich erneut mein Glück und mache mich auf die Suche nach dem versprochenen Radweg – und habe dieses Mal mehr Erfolg. Ein Mountainbiker wenige Meter vor mir weist mir den Weg auf den etwas versteckt liegenden Radweg.





Der Weg liegt direkt zwischen Isere und der Autobahn und ist recht angenehm von zahlreichen Bäumen umgeben. Dadurch ist der Gegenwind plötzlich kein Problem mehr und auf dem gut asphaltierten und topfebenen Radweg gebe ich auf den nächsten 20 Kilometern bis nach Saint-Gervais mächtig Gas. Dort ist der Radweg plötzlich wieder zu Ende, ich überquere die Isere und bewege mich auf einer ziemlich langweiligen und überdies noch verkehrsreichen Straße. Mein Navigationsgerät will sich wieder mit mir versöhnen und bietet mir eine Alternativroute an, die zwar immer noch durch eine langweilige Landschaft führt, dafür aber fast komplett verkehrsfrei ist. Leider ist die Route nach wenigen Kilometern wieder Geschichte und bis Saint-Romans muss ich auf der ungeliebten D1532 bleiben.





Dort biege ich in Richtung Pont-en-Royans ab, meinem geplanten Etappenziel. Ein Hinweisschild zeigt noch 5 Kilometer an und die Straße steigt mal wieder an.





Ich überschlage die noch möglichen Höhenmeter und lege noch einmal eine längere Ess- und Trinkpause ein. Doch nur eine Kurve später durchfahre ich einen kleinen Tunnel und von da an geht es nur noch bergab – bis Pont-en-Royans, wo sich am Ortseingang der kleine Camping municipal befindet. Auf dem Platz ist (irgendwo erwischt es mich scheinbar jedes Jahr) mal wieder eine größere Gruppe französischer Wohnmobilisten, die es sich an einer langen Tischreihe gemütlich gemacht haben und den Rest des Platzes (also mich) mit ihren Reden, Applaudieren, Schreien und Singen beschallen. Schade, denn die Lage des Platzes direkt an dem kleinen Fluss Bourne ist wahrlich schön. Ich verbringe dann auch trotz des Lärms einige Mußestunden am Flußufer – und gegen den Krach hilft mein mp3-Player, der den idealen Soundtrack zu der pittoresken Ambiente liefert.





Später verteilen sich die Franzosen über den gesamten Platz und gehen ihrer traditionellen Lieblingsbeschäftigung – dem Boulespielen – nach. Dadurch wird es etwas ruhiger und ich kann die Stöpsel aus dem Ohr nehmen und dem Quaken der Enten und Klacken der Eisenkugeln lauschen. Doch leider dringen plötzlich auch andere Geräusche in mein Ohr, nämlich das leise Plätschern erster Regentropfen. Ich verschwinde in mein Zelt (es ist immerhin schon fast 22 Uhr) und hoffe, dass angesichts des Wetters der Franzosenclan das Gleiche macht. Doch im Gegensatz zu den Wohnmobilgruppen der vergangenen Jahre ist dieses Mal das Durchschnittsalter deutlich niedriger und die Männer widmen sich statt des lebensverlängernden Schlafs lieber dem lebensverkürzenden Konsum von Alkoholika und dem Absingen französischer Grölchansons (die sich übrigens von vergleichbarem deutschen Liedgut nicht großartig unterscheiden). Doch bevor ich richtig sauer werden kann, bin ich glücklicherweise eingeschlafen.


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