Tag 9
Pont-en-Royans – Die
85 km 1588 hm





Ich bin mal wieder früh auf den Beinen – doch leider nicht früh genug. Denn als von der Ortschaft auf die Strasse zur Gorges de la Bourne abbiege, kündigt sein Schild an, dass die „Route barrée“ ist – und zwar von 8.30 – 17.30 Uhr und erst in sechs Kilometern. Nun ist es erst 8 Uhr, aber das ist leider viel zu spät, um rechtzeitig an der temporären Sperre zu sein. Aber ich bin in der Vergangenheit als Radfahrer immer an allen Sperren vorbei gelassen worden und die tägliche Wiederöffnung weist darauf hin, dass hier nicht irgendwelche Straßenabschnitte komplett zerstört sind – und deshalb ignoriere ich den Sperrhinweis und mache mich gut gelaunt auf den Weg. Und die Landschaft hält, was ich mit von dieser Schlucht versprochen habe.





Die Steigung ist nicht sonderlich heftig und mir bleibt genug Kraft und Muße für staunende Aahs und Oohs. Dann kommt die Sperre und sie ist so eingerichtet, dass kein Auto da durch kommt. Aber an einer Seite ist ein kleiner Spalt und wenn ich und mein Rad sich ganz dünn machen, kommen wir da durch. Danach bin ich völlig allein auf der vorher schon kaum befahrenen Straße. Hier beginnt erst die eigentliche Schlucht und es wird zunehmend enger und spektakulärer.







Was ich hier zu sehen bekomme, ist selbst für mich „erfahrenen Schluchtenfahrer“ etwas Besonderes. Die Straße ist teilweise in den senkrechten Fels gefräst worden und bietet fantastische Ausblicke.
Doch nach einer Kurve muss ich einsehen, dass es heute nichts wird mit einer kompletten Durchfahrung der Gorges de la Bourne. Denn eine zweite Sperre tut sich vor mir auf – und dieses Mal kann ich mich noch so klein machen, es gibt keine Lücke, durch die ich mich zwängen könnte. Vor der Sperre ist ein Arbeiter damit beschäftigt, weitere Sicherungsmaßnahmen durchzuführen. Meinen gestammelten Versuch einer Frage, ob vielleicht doch noch ein Durchkommen möglich sei, antwortet er mit einem freundlichen bedauernden doch bestimmten „Non, je regrette“ und fügt an, dass (wenn ich ihn richtig verstanden habe) Sprengarbeiten durchgeführt werden. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als umzukehren und nach Pont-en-Royans zurückzufahren.



Was nun? Ich beschließe, nach Saint-Jean-en Royans zu fahren und von dort aus durch die Combe Laval, eine ebenfalls eindrucksvolle Schlucht, nach Die zu fahren. Dies wäre eigentlich erst morgen meine Etappe (in umgekehrter Richtung) gewesen, aber schon bei der Planung hatte ich bedauert, die Combe nicht von Saint-Jean aus befahren zu können. Es wurmt mich zwar sehr, die Gorges de la Bourne aus meinem Programm streichen zu müssen, aber das ist nun mal nicht zu ändern – auch weil ich keine Lust habe, schon um 6 Uhr aufzustehen, um evtl. rechtzeitig an der Sperre zu sein. Also landet die Gorges de la Bourne auf der „Unbedingt-noch-to-do“-Liste und ich mache mich auf den Weg zur Combe Laval. Doch dieser Plan ist nur von kurzer Dauer, denn in Saint-Eulalie entdecke ich, dass von hier aus eine Umleitungsstrecke nach Vilard-de-Lans (dem Endpunkt der Gorges de la Bourne) abzweigt. Das Tal, durch das die Straße führt, sieht (soweit man das aus der Ferne einschätzen kann) recht schön und vielversprechend aus und ich entscheide, meine heutige Etappe auf der D 518 fortzusetzen. Ich durchfahre direkt ein paar kleinere Tunnel und gelange in ein Tal, welches dem ersten Talabschnitt der Gorges de la Bourne sehr ähnlich sieht.





Die Straße steigt über einige Serpentinen stetig an. Der Verkehr ist gering und ich genieße die wunderbare Landschaft.





Nach einigen Kilometern kündigt ein Hinweisschild einen weiteren Tunnel an, der aber im Gegensatz zu den Unterführungen vorher eine Länge von 1700 Metern hat. Es ist schon ein komisches Gefühl, über eine solche Entfernung durch einen Tunnel zu strampeln, zumal es immer weiter bergauf geht und damit meine Geschwindigkeit nicht sonderlich hoch ist. Es ist fast so wie das Durchfahren des Gotthardtunnels mit dem Auto (wenn auch nicht ganz so lang). Man wartet und wartet und hofft auf das Auftauchen des „rettenden“ Tageslichts, aber das Ende will einfach nicht auftauchen. Dabei ist der Tunnel gut ausgeleuchtet und Ventilatoren an der Tunneldecke sorgen für ausreichend Frischluft – dennoch bin ich froh, endlich raus aus dem Loch zu kommen, auch weil mir langsam bitterlich kalt wird.



Nach einer kurzen Orientierungsrunde sehe ich dann endlich auch die vielbeschriebene Schlucht Grand Goulets, die leider seit einiger Zeit komplett gesperrt ist. Das wenige, was ich durch die Sperre erkennen kann, ist höchst eindrucksvoll. Auf engstem Raum hat sich hier eine tiefe Schlucht gebildet und die Straße führt abenteuerlich irgendwie an dem kleinen Flüsschen entlang. Schade, dass ein solches Monument der Straßenbaukunst nicht erhalten werden kann und stattdessen schnelle, aber seelenlose Tunnel den heutigen Verkehrserfordernissen eher entsprechen. Mir ist schon bewusst, dass Straßen wie die die Grand Goulet in heutiger Zeit anachronistisch anmuten und der Tunnel eher geeignet ist, den Verkehr reibungslos ablaufen zu lassen. Dennoch wäre es schön, wenn solche spektakulären Wege in irgendeiner Form erhalten werden könnte. Ich stände in jedem Fall am Tage der Wiedereröffnung mit meinem Drahtesel am Eingang der Schlucht und würde mit Freuden einige Euro in die Sammelbüchse zur Erhaltung der Straße einwerfen......



Statt in der Schlucht bewege ich mich auf einer langgestreckten Hochebene, die sich später immer mehr zu einem Talkessel verengt. Ich passiere das nette Örtchen La-Chapelle-en-Vercors und wundere mich etwas über die permanente Ausschilderung zum Col de Rousset, der angesichts meiner momentanen Höhe von über 900 Metern doch nicht mehr sonderlich spektakulär nach oben steigen kann.





Das Wetter ist übrigens wieder ein einziges Karussell. Sonne, Hitze, dunkle Wolken, blauer Himmel und tückischer Wind – und als ich durch Rousset fahre, muss ich mir meine Regenjacke parat legen, denn es sieht sehr schwer nach Regen aus. Doch zunächst bleibt es noch trocken und ich kann den kurzen Anstieg über einige Kehren zum Gipfelort meistern.





„Col de Rousset“ ist ein auf Wintersport ausgerichteter Retortenort und wirkt angesichts des immer schlechter werdenden Wetters ziemlich trostlos und öde. Der eigentliche Gipfelpunkt ist ein 700 Meter langer Scheiteltunnel, dessen Durchfahrung aber keinen Schwierigkeiten bereitet.



Ich verlasse den Tunnel und bekomme den Mund vor Staunen nicht mehr zu. Vor mir liegt ein ca. 600 Meter tiefer Abhang, an dem sich wild kurvend eine Straße hinaufwindet. Tief unten kann ich die Umrisse von Die, meinem heutigen Etappenziel erkennen. Und der Himmel setzt dem ganzen Bild noch die Krone auf. Während ich hinabblicke, beginnt es kräftig zu regnen, aber gleichzeitig sorgen einige wolkenlose Stellen am Himmel, dass bestimmte Flecken der Landschaft durch die Sonne hell erleuchtet werden.





Ein grandioses Schauspiel – ich beobachte die Autos, wie sie irgendwo unter mir hinter Bäumen verschwinden und einige Zeit später an Stellen auftauchen, wo ich sie nie vermutet hätte. Ich könnte noch viel länger hier oben sitzen und schauen und staunen, aber dieser verdammte Regen zwingt mich, den letzten Etappenabschnitt endlich anzugehen – und der besteht aus 21 Kilometern abfahren, Kurven und Kehren ohne Ende. Ich tröste mich mit dem Gedanken, morgen diesen Inbegriff eines Traunmpasses wieder hinauffahren zu können – und dann hoffentlich bei besserem Wetter.



Deshalb verzichte ich auch auf die eigentlich fälligen Fotostopps und rase die Abfahrt in einem Rutsch bis Chamaloc durch. Dort scheint schon wieder die Sonne und es wird ziemlich warm. Ich entdecke einen ersten vorprovencalischen Gruß - ein kleines Lavendelfeld und bekomme plötzlich die Idee, die Cevennen in diesem Jahr einmal auszulassen und mich mal wieder in der immer sommerlichen Provence umzusehen.



Ich verschiebe die Idee aber erst einmal nach hinten und mache mich in Die auf die Suche nach einem Campingplatz. Daran herrscht hier kein Mangel und ich wähle den Camping municipal in unmittelbarer Ortsnähe. Den Nachmittag verbringe ich gemütlich in der Sonne liegend mit der Planung des morgigen Tages. Ich bin mir nicht sicher, ob ich morgen nach der Erklimmung des Col de Rousset und der Befahrung der Combe Laval noch Kraft und Lust habe, über kleine Nebenstraßen und einen größeren Hügel wieder in den Süden nach Crest zu fahren, was sich wohl zu etwas mehr als 120 Kilometer und über 2000 Höhenmeter summieren wird. Oder ich teile diese Etappe in zwei kurze Abschnitte und fahre nur in den kleinen Ort Saint-Jean-en-Royans und übermorgen den Rest. Im örtlichen Supermarkt bereite ich mich für beide Eventualitäten vor, dass heißt keinen Wein, viel Nudeln und ausreichend Proviant für eine mögliche ausgiebige Siesta irgendwo im Vercors.

Später am Abend kippt dann meine vorzügliche Stimmung, als eine Mitarbeiterin des Campingplatzes von Parzelle zu Parzelle eilt, um der versammelten Schar von holländischen, französischen und deutschen Wohnwagen- und Wohnmobilbesitzern zu eröffnen, dass das Wetteramt für die Region die Warnstufe Orange ausgerufen hat. Was nichts anderes heißt, dass die ernsthafte und konkrete Gefahr besteht, von unwetterartigem Sturm und Regenfällen heimgesucht zu werden. Meine Campingkollegen hasten daraufhin zu ihren mobilisierten Unterkünften, demontieren hastig alles Mobilar (Stühle, Tische,Vorzelte, Satellitenschüsseln) und packen alles ein, was einzupacken ist. Keine 15 Minuten später stehen um mich herum nur noch „nackte“ Wohnwagen und die Besitzer stehen ratlos auf dem Platz herum und starren in den noch tiefblauem Himmel. Ich werde angesichts der hektischen Betriebsamkeit um mich herum auch ein wenig nervös, aber mangels zusätzlicher Häringe (irgendwo musste ich ja Gewicht einsparen) kann ich mein Zelt nur provisorisch abspannen. Stattdessen versuche ich, den immer noch wirklich schönen Abend zu genießen.....



weiter zu Tag 10
zurück zur Übersicht

Kommentieren