Tag 13
Montpezat-sous-Bauzon – Villefort
94 km 1975 hm


Am späten gestrigen Abend und in der Nacht werde ich von Mücken übelst zerstochen. Jeder Mensch weiß, dass das Kratzen an den geschundenen Stellen nur kurzfristig Linderung bringt, im Gesamten das Problem aber eher verschlimmert. Aber leider sind im Halbschlaf die (falschen) Reflexe stärker und als ich irgendwann aufwache, jucken beide Beine infernalisch. Da hilft es nur wenig, die Arme einzuklemmen und mit allen Mitteln von den Beinen fernzuhalten... - immerhin komme ich in den Genuss, mal wieder einen sternenklaren Himmel bestaunen zu können.

Am nächsten Morgen ist es zwar nicht mehr komplett wolkenlos, aber es verspricht ein freundlicher Tag zu werden. Ich schwinge mich gegen 9.30 Uhr mit nur leicht feuchten Klamotten aufs Rad und ignoriere die spärlich bestückte kleine Boulangerie im Ort. (Ein schwerer Fehler, wie sich im Nachhinein herausstellt, denn die nächste Bäckerei finde ich in Villefort, meinem Zielort.)





Die Strasse steigt mit durchschnittlich 5,5% die nächsten 10 Kilometer kontinuierlich und gleichmäßig an. Es ist trotz der Sonne immer noch recht frisch und sogar richtig kalt, wenn die Sonne hinter den Hügeln oder – was inzwischen immer häufiger vorkommt – den Wolken verschwindet. Von der « L'Ardechoise » habe ich mich scheinbar endgültig verabschiedet, lediglich eine einsame Radrennfahrerin kreuzt meinen Weg.



Irgendwann bin ich oben, doch das fällige Col-Schild fehlt leider wieder einmal. Aber dafür entschädigt wieder einmal die Landschaft. Diese grandiosen und einmaligen Ausblicke, die sich einem nach jeder zweiten Kurve bieten, lassen mich immer wieder anhalten und zur Kamera greifen – auch wenn ich befürchte, dass der Fotoapparat nicht in der Lage ist, dieses Panorama auch nur annähernd einzufangen.





Ich biege auf D 110 ab und nach einigen Kilometern bergab auf dieser kleinen Straße durch ein schmales Tal stoße ich auf die größere D 239. Doch was heißt hier schon größer, ein LKW wäre auf dieser Straße immer noch völlig überdimensioniert und der Fahrer total überfordert.



Ein Radfahrer dagegen fühlt sich auf diesen Wegen einfach großartig – was sich wohl auch die Macher der « L'Ardechoise » gedacht haben müssen, denn plötzlich kommen mir wieder Dutzende von Rennradlern grüßend entgegen.



Es geht wieder bergauf und bergab und der höchste Punkt liegt bei über 1400 Metern – und das Wetter ist richtig schlecht geworden. Sonne und Regen wechseln sich permanent ab, wobei die Regenperioden eindeutig überwiegen. Ich hab Glück und mich erwischt keiner dieser heftigen Schauer, die sich an großen Pfützen auf der Straße vor mir zeigen, aber mit permanentem fiesen feinen Nieselregen habe auch ich zu kämpfen. Dazu wird es empfindlich kalt hier oben, mein Thermometer zeigt mir 11 Grad an, was meiner Vorstellung von Südfrankreich nicht mehr entspricht.





Insbesondere meine Füße in den durchnässten Schuhen ähneln zwischenzeitlich kleinen Eisblöcken – zumindest kommt es mir so vor. Umso verwunderlicher, dass mir manche Rennradfahrer in kurzen Trikots entgegenkommen und die Abfahrt meistern. Es ist Wahnsinn, wie viele Radler sich an der Rundfahrt beteiligen. Egal, wo ich heute langfahre – immer bewege ich mich auf eine der zahlreichen Strecken, die im Programm der « L'Ardechoise « sind und von zahlreichen Gruppen befahren werden.









Sollte ich heute Abend einen Muskelkater haben, so wird er wahrscheinlich nicht in den Beinen sein, sondern im linken Oberarm. Denn so oft habe ich im Leben noch nicht die Hand zum Gruß gehoben wie heute. Ich begegne vielen Hunderten von Rennradlern und insbesondere bei meinen Abfahrten ist es interessant und spannend, sich die Gesichter der Entgegenkommenden anzuschauen.
Und wenn man dann wieder in ein völlig erschöpftes Anlitz blickt, welches nur mühsam noch ein Lächeln findet, dann fragt man sich besorgt, wie man selber vor wenigen Minuten ausgesehen hat, als man selbst gegen den Anstieg gekämpft hat.







Die Landschaft ist den ganzen Tag einfach grandios. Ich staune über die enorme Sicht, die sich mir trotz des schlechten Wetters bietet. In der Ferne sind einige große Berge zu sehen – das müssen die Alpen sein. Dann biegt man in eine Kurve und ein völlig neues, aber mindestens ebenso gewaltiges Panorama öffnet sich vor einem. Mal ist es eine tiefe Schlucht, dann eine kleine karge Hochebene und dann wieder eine kleine Straße, die an einem imposanten Hang entlang gleitet.








Und da ist diese Vegetation, die ständig zwischen mitteleuropäisch-alpin und mediterran wechselt. Tannen und Kiefern, Kirschbäume und Kastanien, dichter Wald und Macchia findet man auf engstem Raum und man kann sich gar nicht sattsehen an dem ständigen Wechselspiel. Und dann diese Straßen, die kilometerlang durch diese scheinbar unberührte Natur führen und (bis auf die vielen Rennradler) so gut wie keinen Verkehr haben. Es gibt auch kaum Orte hier – auf den 90 Kilometern bin ich vielleicht durch 3 oder 4 kleine Weiler gefahren – da wirkt Villefort mit seinen 600 Einwohnern schon wie eine richtige Stadt und kleines Zentrum.







Höhepunkt der heutigen Route soll das kleine Sträßchen von Montselgues nach Pied-du-Borne werden. Die Straße verläuft zunächst durch unzählige Kurven in das schmal ausgeschnittene Tal der Borne. Letztes Jahr bin ich die Straße auf der anderen Talseite gefahren (und will dies morgen in entgegengesetzter Richtung wiederholen) und war begeistert über Straßenverlauf und Landschaft. Und auch der heute gewählte Weg ist spektakulär, wenn auch sehr schwierig zu befahren.





Denn die Straße ist sehr schmal und in einem teilweise miserablen Zustand. So mache ich mich mit beiden Händen an den Bremsen im Schneckentempo an die 17 Kilometer lange Abfahrt. Im Gegensatz zu vielen Anstiegen, die ich bisher in dieser Gegend gemeistert habe, ist es hier richtig steil – so steil, dass ich schwere Bedenken hätte, diese Straße in umgekehrter Richtung befahren zu können.



Wie anstrengend die Steigung ist, zeigen mir die auch hier entgegenkommenden Rennradler, die sich mit verzerrten Gesichtern hinauf quälen. Bei einigen Fahrern bin ich mir nicht sicher, ob sie die Steigung bis oben hin überhaupt schaffen werden, bzw. ob diese Anstrengung noch gesund für sie ist.

Aber ich fahre ja nur begab, bremse und grüße und schüttel permanent meinen Kopf – entweder, weil mich die landschaftliche Schönheit umhaut oder weil ich die Leistungen der « L'Ardechoise »-Fahrer würdigen will.





In Pied-du-Borne ist dann aber endgültig Schluss mit der Rundfahrt und ich nehme die letzten 8 Kilometer nach Villefort alleine in Angriff. Die Straße gehört zwar auch zu den Höhepunkten einer Cevennenfahrt – ich bin aber dieses Stück schon häufiger gefahren und beschränke mich darauf, das pittoreske Flussbett quasi nur im Vorbeifahren zu bewundern. Ich bin inzwischen doch ziemlich erschöpft und beschließe, mir die 13% Steigung zum Campingplatz nur einmal antun zu wollen – und kaufe direkt im Ort die notwendigen Lebensmittel ein. Es ist auch schon ziemlich spät und ich muss mich ein wenig sputen, um das allabendliche Programm auch rechtzeitig durchziehen zu können. Während des Kochens bemerke ich beim Blick auf den Tacho, dass ich die magische 2000 Höhenmetermarke nur knapp verpasst habe und ärgere mich ein wenig, nicht doch noch einmal zum Einkaufen in den Ort gefahren zu sein.

Inzwischen ist es 22 Uhr und meine Mückenstiche beginnen wieder zu jucken. Ein Blick zum Himmel verrät nur, dass auch morgen wieder alles möglich sein kann. Aber das bin ich ja dieses Jahr gewohnt. Bezüglich des morgigen Tagesziels bin ich noch etwas unentschlossen. Meine Essensvorräte sind ziemlich zur Neige gegangen, übermorgen ist Sonntag und ich weiß nicht, ob mein eigentlich geplanter Zielort überhaupt einen Supermarkt hat. Vielleicht ändere ich meine Streckenplanung ja doch noch in dieser Nacht......


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